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Zurück ins Büro? Der Streit um Homeoffice bei SAP und die Frage: Wo arbeiten wir am besten?

Die Ankündigung des Software-Riesen SAP, alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wieder ins Büro zurückzuholen, sorgt für hitzige Diskussionen. Mitten in einer Phase, in der Homeoffice mehr denn je als fester Bestandteil der modernen Arbeitswelt gilt, geht SAP einen überraschenden Schritt. Besonders brisant: Der frühere SAP-Personalleiter, Cawa Younosi, kritisierte diese Entscheidung scharf und bezeichnete sie als das „Gegenteil von Kultur“ – ein Vorwurf, der tief blicken lässt. Steht die Rückkehr ins Büro für einen Rückschritt oder handelt es sich um eine notwendige Korrektur im Zuge der immer weiter hybridisierten Arbeitswelt?

Homeoffice – mehr als ein Pandemiephänomen?

Seit Beginn der Corona-Pandemie hat sich die Arbeitswelt grundlegend verändert. Was früher als Ausnahme galt, wurde plötzlich zur Regel: Millionen von Menschen arbeiteten von zuhause aus. Unternehmen sahen sich gezwungen, ihre Bürostrukturen und Abläufe radikal umzustellen. Eine Umfrage des ifo Instituts aus dem Jahr 2021 zeigte, dass fast die Hälfte aller Beschäftigten in Deutschland in irgendeiner Form von zu Hause arbeitete – vor der Pandemie waren es gerade einmal 12 Prozent.

Auch nach dem Abklingen der Pandemie blieb das Homeoffice für viele Beschäftigte attraktiv. Laut einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) gaben 60 Prozent der Beschäftigten an, nach der Pandemie zumindest teilweise von zuhause aus arbeiten zu wollen. Der SAP-Entscheid, nun wieder alle ins Büro zu holen, wirkt daher wie ein Schritt gegen den Trend – und gegen den Willen vieler Arbeitnehmer.

„Die Frage ist doch: Warum sollten wir jetzt wieder zurück?“, fragt ein SAP-Mitarbeiter anonym gegenüber dem „Spiegel“: „Wir haben in den letzten Jahren bewiesen, dass wir auch von zuhause aus genauso produktiv, wenn nicht sogar produktiver sind. Warum das alles aufgeben?“

Die Vorteile von Homeoffice: Flexibilität und Produktivität

Die Argumente für das Homeoffice sind vielfältig. Zum einen bietet es den Mitarbeitenden mehr Flexibilität. „Die Möglichkeit, von zu Hause zu arbeiten, hat mir viel Stress abgenommen“, berichtet eine SAP-Angestellte. „Ich kann meine Arbeitszeiten besser an meine persönlichen Bedürfnisse anpassen, und vor allem spare ich den täglichen Arbeitsweg.“

Diese Flexibilität ist nicht nur ein Gewinn für die Beschäftigten, sondern auch für die Unternehmen. Eine Studie der Stanford University aus dem Jahr 2020 zeigte, dass Mitarbeiter im Homeoffice oft produktiver sind. Grund dafür sind vor allem die ungestörte Arbeitsumgebung und die Einsparung der Anfahrtszeiten. Studienautor Nicholas Bloom fasst zusammen: „Homeoffice ermöglicht es den Beschäftigten, fokussierter und flexibler zu arbeiten. Unternehmen profitieren von geringeren Ausfallzeiten und einer höheren Mitarbeiterzufriedenheit.“

Zusätzlich bietet das Homeoffice die Möglichkeit, Fachkräfte aus entfernteren Regionen zu rekrutieren, da die Standortbindung entfällt. Insbesondere in Branchen wie IT, in denen Fachkräftemangel herrscht, ist diese Flexibilität ein entscheidender Faktor.

Das Büro – unverzichtbar für den Teamgeist?

Doch nicht alle sind von den Vorteilen des Homeoffice überzeugt. Insbesondere Führungskräfte betonen die Bedeutung des physischen Arbeitsplatzes für die Unternehmenskultur und den Teamgeist. „Innovation entsteht durch Zusammenarbeit, und Zusammenarbeit findet am besten persönlich statt“, erklärt ein SAP-Manager gegenüber dem „Spiegel“.

Der frühere SAP-Personalleiter Younosi widerspricht jedoch entschieden. „Kultur bedeutet nicht, dass wir alle physisch anwesend sein müssen“, sagt er. „Kultur entsteht durch Vertrauen, Eigenverantwortung und die Möglichkeit, flexibel zu arbeiten. Die erzwungene Rückkehr ins Büro zerstört all das, was wir in den letzten Jahren aufgebaut haben.“ Seine Aussage wirft eine wichtige Frage auf: Kann echte Zusammenarbeit auch virtuell funktionieren?

Ein weiterer Aspekt, der oft zugunsten des Büros angeführt wird, ist die Möglichkeit des informellen Austauschs. Die berühmten „Kaffee-Küchen-Gespräche“ gelten als Nährboden für Kreativität und spontane Ideen. Psychologen sprechen hier vom sogenannten „Serendipity-Effekt“ – der zufälligen Entdeckung neuer Ideen durch ungeplante Interaktionen. „Im Homeoffice fallen diese Momente der Spontaneität weg“, warnt der Psychologe Andreas Krause in einem Interview mit dem „Tagesspiegel“.

Das Problem der Gleichheit und Fairness

Ein oft übersehener Punkt in der Diskussion um Homeoffice ist die Frage der Chancengleichheit. Nicht alle Beschäftigten haben die gleichen Voraussetzungen, um produktiv von zu Hause aus zu arbeiten. Viele Menschen leben in beengten Wohnverhältnissen, haben keine ausreichende technische Ausstattung oder müssen sich um Kinder kümmern. Eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) fand heraus, dass insbesondere Menschen mit niedrigerem Einkommen und Bildungsstand häufiger Schwierigkeiten haben, im Homeoffice produktiv zu sein.

Die Rückkehr ins Büro könnte also auch eine Frage der sozialen Gerechtigkeit sein. „Wir müssen sicherstellen, dass alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die gleichen Chancen haben, unabhängig davon, wo sie arbeiten“, betont ein SAP-Sprecher.

Mental Health und Work-Life-Balance: Homeoffice als zweischneidiges Schwert

Ein weiteres wichtiges Argument in der Homeoffice-Debatte ist die psychische Gesundheit der Beschäftigten. Während viele Arbeitnehmer die Flexibilität und Freiheit des Homeoffice schätzen, berichten andere von negativen Auswirkungen auf ihre Work-Life-Balance und mentale Gesundheit. Eine Studie der Krankenkasse DAK aus dem Jahr 2021 ergab, dass 43 Prozent der Beschäftigten, die im Homeoffice arbeiteten, über eine stärkere Vermischung von Arbeit und Privatleben klagten. Besonders problematisch sei die fehlende Abgrenzung, was zu längeren Arbeitszeiten und erhöhter Erschöpfung führe.

„Es ist schwierig, nach Feierabend abzuschalten, wenn das Büro im Wohnzimmer steht“, berichtet ein SAP-Mitarbeiter. Diese Belastung kann langfristig zu ernsthaften gesundheitlichen Problemen führen, wie die DAK-Studie feststellt: „Burnout und Stresssymptome nehmen im Homeoffice tendenziell zu.“

Auch Führungskräfte stehen hier vor neuen Herausforderungen. „Es ist schwerer, den Zustand der Mitarbeiter zu beurteilen, wenn man sie nicht regelmäßig persönlich sieht“, erklärt der Personalberater Markus Hornung. „Emotionale Bindung und Loyalität entstehen oft durch den direkten Kontakt im Büro.“

Die wirtschaftliche Perspektive: Einsparpotenzial oder kostspieliger Rückschritt?

Die Rückkehr ins Büro bringt jedoch auch wirtschaftliche Herausforderungen mit sich. Viele Unternehmen haben während der Pandemie Büroflächen verkleinert oder ganz aufgegeben, um Kosten zu sparen. In einer Zeit, in der Mieten für Gewerbeimmobilien steigen, erscheint die Entscheidung, teure Büroflächen wieder vollständig zu nutzen, wenig sinnvoll.

Laut einer Studie von McKinsey aus dem Jahr 2022 haben Unternehmen, die dauerhaft auf Homeoffice setzen, ihre Immobilienkosten um bis zu 30 Prozent reduziert. Gleichzeitig können sie durch flexible Arbeitsplatzmodelle die Fluktuation von Fachkräften verringern und so Kosten für Neueinstellungen und Einarbeitung senken.

Andererseits argumentieren Kritiker, dass langfristig die Bindung an das Unternehmen und die Innovationskraft leiden könnten, wenn die Mitarbeitenden nicht regelmäßig im Büro präsent sind. „Der informelle Austausch und die Möglichkeit, sich spontan zu vernetzen, sind unschätzbar wertvoll“, betont ein SAP-Führungskraft. Die Rückkehr ins Büro sei also nicht nur eine Frage der Kosten, sondern auch der strategischen Zukunftssicherung.

Flexibilität ist der Schlüssel

Klar ist: Pauschale Lösungen wie die von SAP, die alle Mitarbeitenden wieder ins Büro beordern wollen, sind problematisch und stoßen auf großen Widerstand. Auch die Kritik des ehemaligen SAP-Personalleiters Cawa Younosi verdeutlicht: Es geht nicht nur um Effizienz und Produktivität, sondern auch um Vertrauen, Selbstbestimmung und die Schaffung einer Unternehmenskultur, die auf Flexibilität setzt.

Ein hybrides Modell scheint für viele die Lösung zu sein. Dies bestätigt auch eine Umfrage des Beratungsunternehmens PwC aus dem Jahr 2022: 72 Prozent der Befragten wünschen sich eine Kombination aus Homeoffice und Büropräsenz. Unternehmen, die ihren Mitarbeitern diese Flexibilität bieten, könnten langfristig die Nase vorn haben – sowohl bei der Mitarbeiterzufriedenheit als auch bei der Produktivität.

Die Frage bleibt: Wird SAP auf den wachsenden Druck reagieren und seine Entscheidung noch einmal überdenken? Oder ist die Rückkehr ins Büro der erste Schritt zurück zu einem Arbeitsmodell, das sich als überholt erweisen könnte?

Letztlich wird sich zeigen, ob Unternehmen wie SAP den Spagat zwischen den verschiedenen Anforderungen ihrer Mitarbeiter und den Notwendigkeiten des Marktes schaffen. In einer Welt, die sich zunehmend digital und dezentral organisiert, könnte der Zwang zur Büropräsenz als antiquiert erscheinen. Doch ebenso ist das Büro als Ort der Begegnung, des Austauschs und der Kreativität nicht zu unterschätzen. Eines ist überdeutlich: Der Arbeitsplatz der Zukunft wird flexibler sein müssen – im Sinne der Unternehmen, aber vor allem auch im Sinne der Mitarbeitenden. Und das führt uns zum Fazit und zu der Binsenweisheit: Zufriedene Mitarbeiter sind in der Regel produktiver – und das ist gut fürs Unternehmen.

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