Während die Arbeitsweit bahnbrechende Veränderungen durchläuft, bleiben manche Fragen unbeantwortet. Wie lange sollte man beispielsweise in einem Job „durchhalten“?
Ein ungeschriebenes Gesetzt sagt, dass man einen neuen Job mindestens ein Jahr haben sollte – egal ob man ihn hasst. Es geht darum, selbst in einem herausfordernden Umfeld professionelles Engagement zu zeigen und Durchhaltevermögen, bevor man weiterzieht. Aber gilt diese Regel noch in Zeiten, in denen die Arbeitswelt auf den Kopf gestellt wird?
Vielleicht – sagen Experten. Die fundamentalen Faktoren Zuverlässigkeit und Durchhaltevermögen für die „Ein-Jahr-Regel“ gelten natürlich auch weiterhin. Aus Sicht des Arbeitgebers ist ein Mitarbeiter, der durchhält und länger als ein Jahr bleibt, eine bessere Investition, als wenn das nicht der Fall ist. Loyalität wird ebenfalls hoch bewertet. Für Arbeitnehmer bedeutet Durchhalten, dass man sich einarbeitet, Dinge dazulernt und sich die Situation mittel- bis langfristig entwickeln und verbessern kann – was eben nicht möglich ist, wenn man bereits in der Probezeit aufgibt.
Aber auf der anderen Seite hat sich die Karriereplanung im Zusammenspiel mit den beispiellosen Auswirkungen der Pandemie deutlich flexibilisiert. Und während Arbeitgeber meist noch einen traditionellen Lebenslauf vorziehen, sehen viele Experten es sogar als positiv, wenn auch kürzere „Gastspiele“ vorhanden sind – solange die Wechselmotivation und die Kürze einer Anstellung gut begründbar ist.
Die Ein-Jahres-Regel hat ihre Begründung in der Tatsache, dass es eine große Anpassung erfordert, in einem neuen Job anzufangen. Etwas, das Zeit kostet und Eingewöhnung. „Nach einem Jahr haben Angestellte meist erst das Gefühl, dass Sie richtig angekommen sind und verstehen, wer in ihrem Arbeitsumfeld wer ist“, brachte es Alison Sullivan, Corporate Communications Manager bei Glassdoor, auf den Punkt. „Ein Jahr gibt Mitarbeitern die Gelegenheit, einen Eindruck in der Firma zu hinterlassen, neue Fertigkeiten zu erlernen und eine Weiterentwicklung zu zeigen.“. Ohne dies wird es schwierig, sich für eine neue Position „zu verkaufen“. Fehlt diese persönliche Entwicklung und dieser Einfluss am Arbeitsplatz, sieht es schnell nach verlorener oder verspielter Zeit aus.
Michael Smets, Management Professor in Oxford, sagt: Man muss glaubhaft machen können, dass die Attraktivität des neuen Jobs die Wechselmotivation ist – und nicht eine Fluchtroute. „Leute, die ständig den Job wechseln, wurden in der Vergangenheit mit einem Mangel an Widerstandsfähigkeit und Engagement in Verbindung gebracht und mit einem Unvermögen, sich anzupassen und sich persönlich weiterzuentwickeln. Sie werden als Leute gesehen, die sich durch ihre Jobs schlingern“. Während ein bis zwei kurze Stationen leicht zu erklären sind, werde es darüber hinaus schwierig. Denn Arbeitgeber müssen die Kosten für die Personalsuche und die Einarbeitungszeit, in der ein Mitarbeiter noch nicht voll produktiv ist, einkalkulieren. Ein neuer Mitarbeiter ist eine Investition in die Zukunft des Unternehmens. Und bei Investitionen vermeidet man Risiken. Ein Mitarbeiter, bei dem man schon anhand des Lebenslaufs Gefahr läuft, dass er schnell wieder weg ist, ist so ein Risiko. „Wenn Sie sich unsicher sind mit Ihrem Job, versuchen Sie, mindestens ein gutes Jahr durchzuhalten“, so der Management-Experte. „Alles andere wäre ein sehr negatives Signal für zukünftige Arbeitgeber“.
Aber es gibt auch Anzeichen, dass die ungeschriebene Ein-Jahres-Regel zwar weiterhin das Optimum ist (aus unserer Sicht: Besser zwei oder drei!) – aber nicht mehr so unumstößlich, wie in der Vergangenheit. Bereits vor der Pandemie haben wir beobachtet, dass manche Positionen schon zunehmend flexibler gehandhabt werden. Dieser Trend scheint sich nun in der Pandemie (auf niedrigem Niveau) zu verstärken. Klar ist, dass die Arbeitswelt der Elterngeneration – nämlich oft lebenslang in einer Organisation zu bleiben – längst nicht mehr existiert. Die jüngeren Generationen haben sich davon gelöst, eine möglichst lange Verweildauer als erstrebenswert anzusehen. Noch gibt es keine Studien die belegen, dass das zu einem stärkeren „Job Hopping“ führte – aber es ist deutlich, dass Berufsanfänger heute davon ausgehen, mehrere Male in ihrem Leben den Arbeitgeber zu wechseln und sich mehrfach neu zu orientieren. Dies auch als Mittel einer aktiven Karrieregestaltung und aus der Erkenntnis heraus, dass der Aufstieg, die persönliche Entwicklung und auch besseres Gehalt durch Arbeitgeberwechsel oftmals eher erreicht werden kann als durch Entwicklung in der angestammten Organisation.
„Der Jobwechsel ist eine persönliche Entscheidung geworden, die oft mehr über den Arbeitgeber sagt als über den Arbeitnehmer“, sagt Smets. So ist auch ein Wettbewerb entstanden zwischen Arbeitgebern, nämlich um die Arbeitsbedingungen und den Umgang mit Angestellten. Ein positiver Effekt. Organisationen, die ihre Mitarbeiter ausbeuten, haben es zusehends schwerer, qualifizierte und engagierte Mitarbeiter zu finden.
Ein weiterer Faktor ist, dass Menschen, die aufgrund der Pandemie ihren Job verloren haben und schon aus persönlichen Notlagen heraus auch kurzfristige Angebote oder die erstbeste Gelegenheit genutzt haben, nun öfter erneut wechseln. Damit sinkt die Stigmatisierung von „Job Hopping“, glaubt der Oxford-Professor Smets. Allerdings nur, wenn man seine Entscheidungen glaubhaft begründen kann.
Am Ende wird ausschlaggebend sein, ob ein Kandidat einen Arbeitgeber davon überzeugt, einen dauerhaften Mehrwert für das Unternehme zu bringen – trotz einiger kurzer Gastspiele. Also so wie bisher.