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Revenge Quitting: Wenn Mitarbeitende mit einem Knall gehen

Es beginnt oft schleichend: Eine E-Mail bleibt unbeantwortet, ein Lob bleibt aus, das jährliche Feedbackgespräch fällt aus oder verläuft ergebnislos. Die Unzufriedenheit wächst, aus einem leichten Unbehagen wird Frustration. Und dann, irgendwann, reicht es. Aber nicht einfach nur so – sondern auf eine Weise, die das Unternehmen spüren soll. „Revenge Quitting“, die Kündigung aus Rache, ist ein Arbeitswelt-Phänomen, das sich zunehmend verbreitet. Wer geht, geht nicht mehr leise, sondern mit einem Knall.

Noch vor wenigen Jahren sprach man von „Quiet Quitting“, der stillen inneren Kündigung, bei der Angestellte nur noch das Nötigste tun, sich innerlich verabschieden, aber nicht tatsächlich gehen. Doch nun kündigen sie – und das nicht ohne Absicht. Während früher Resignation oder Perspektivlosigkeit oft der Grund für den Jobwechsel war, steckt heute zunehmend eine Art Vergeltung dahinter. Die Arbeitnehmer, oft enttäuscht oder gar gedemütigt, wollen dem Unternehmen etwas „zurückgeben“. Manchmal wird dabei eine Kündigungswelle mit ehemaligen Kollegen koordiniert, um den Arbeitgeber in einer kritischen Phase maximal zu treffen. Andere lassen über Monate hinweg unbezahlten Urlaub ansammeln, um das Unternehmen dann völlig unerwartet und ohne Vorwarnung zu verlassen.

Besonders auffällig ist, dass sich dieser Trend nicht nur in den sozialen Netzwerken widerspiegelt, sondern auch in Studien belegt ist. Laut einer Untersuchung von Glassdoor aus dem Jahr 2025 fühlen sich 65 Prozent der Beschäftigten in ihren aktuellen Positionen festgefahren. Ein gefährlicher Zustand – denn er führt zu Frust, dem Wunsch nach Veränderung, und nicht selten zu einer dramatischen Kündigung. Daniel Zhao, leitender Ökonom bei Glassdoor, sieht darin ein Symptom einer tiefen Krise in vielen Unternehmen: „Diese Unzufriedenheit resultiert aus der Stagnation, die viele Arbeitnehmer derzeit verspüren, da sich die Arbeitsmärkte verlangsamen und Aufstiegschancen rarer werden.“ Die Folge: Wer das Gefühl hat, in einer Sackgasse zu stecken, wählt manchmal einen drastischen Abgang.

Die Gründe für die radikalen Kündigungen sind vielfältig. Vor allem mangelnde Wertschätzung wird von vielen als Hauptauslöser genannt. Ein respektloser Chef, ständig steigende Arbeitslast, fehlende Karriereperspektiven – all das kann dazu führen, dass die Kündigung nicht einfach nur als logischer Schritt betrachtet wird, sondern als bewusste Reaktion. „Das ist kein Trend, sondern ein Weckruf“, sagt der Organisationspsychologe Dr. Marais Bester. „’Revenge Quitting‘ bedeutet, dass Mitarbeitende die Kontrolle übernehmen. Es ist eine Botschaft an Arbeitgeber: Entwickelt euch weiter oder verliert eure besten Talente.“

Dramatische Einzelfälle häufen sich. Unternehmen berichten von Mitarbeitenden, die vor ihrer Kündigung kritische Aufgabenbereiche an sich gerissen haben, nur um sie mit dem eigenen Abgang ins Chaos zu stürzen. Andere haben absichtlich Wissen oder Zugangsdaten nicht weitergegeben, um den Betrieb empfindlich zu treffen. Eine Studie von CrashPlan zeigte, dass fast jeder sechste Mitarbeitende bereits gesehen hat, wie Kollegen vor ihrer Kündigung absichtlich wichtige Firmendaten gelöscht haben – eine gefährliche Entwicklung, die Unternehmen nicht nur finanziell, sondern auch sicherheitstechnisch teuer zu stehen kommen kann.

Doch sind es wirklich nur gekränkte Egoisten, die auf diese Weise kündigen? Oder steckt mehr dahinter? Iffi Wahla, CEO der globalen Rekrutierungsplattform Edge, sieht eine tiefere Ursache: „Als Führungskraft und Unternehmen ist es unsere Aufgabe, eine Kultur und ein Umfeld zu schaffen, das die Mitarbeiterbindung und das Wohlbefinden in den Vordergrund stellt.“ Die These: Wenn Unternehmen eine Kultur des Respekts und der Wertschätzung etablieren, kommen Kündigungen aus Rache seltener vor. Wenn sich Mitarbeitende gehört fühlen, wenn sie Einfluss haben und wissen, dass ihre Arbeit anerkannt wird, dann bleiben sie – oder verlassen das Unternehmen zumindest ohne Rachegedanken.

Doch die Realität sieht oft anders aus. Eine Umfrage von Software Finder zeigt, dass 93 Prozent der Befragten mit ihrer aktuellen Rolle unzufrieden sind. Die Hauptgründe: fehlende Gehaltserhöhungen, mangelnde Anerkennung und das Gefühl, in einer Einbahnstraße zu stecken. Wenn dann noch unpopuläre Unternehmensentscheidungen hinzukommen – etwa eine plötzliche Rückkehrpflicht ins Büro oder unverständliche Management-Entscheidungen –, kann dies das Fass zum Überlaufen bringen.

Für Unternehmen bedeutet dieser Trend eine ernsthafte Herausforderung. Die langfristigen Auswirkungen von „Revenge Quitting“ sind erheblich: Fachkräfte gehen verloren, Wissensträger verabschieden sich abrupt, und die verbleibenden Mitarbeitenden sind nicht selten durch plötzliche Mehrarbeit überfordert. Die Reputationsschäden sind ebenfalls nicht zu unterschätzen – negative Bewertungen auf Arbeitgeberplattformen wie Kununu oder Glassdoor häufen sich, Social-Media-Posts ehemaliger Mitarbeitender gehen viral. Wer seine Mitarbeitenden schlecht behandelt, bekommt das in der digitalen Welt heute oft sehr schnell zu spüren.

Wie aber lässt sich „Revenge Quitting“ verhindern? Leena Rinne, globale Leiterin des Coachings bei Skillsoft, sieht eine klare Lösung: „Führungskräfte müssen proaktiv eine Kultur des Dialogs schaffen. Mitarbeitende, die sich gehört fühlen, haben keinen Grund, mit Frust zu gehen.“ Eine einfache Lösung, die jedoch konsequent umgesetzt werden muss. Dazu gehören regelmäßige Gespräche, ehrliches Feedback und das aktive Einbinden der Mitarbeitenden in Entscheidungsprozesse.

Ein weiteres Problem: Viele Unternehmen unterschätzen das Thema Burnout und Überlastung. Die ständige Erreichbarkeit, hohe Arbeitsanforderungen und fehlende Anerkennung machen es Mitarbeitenden zunehmend schwerer, sich mit ihrem Job zu identifizieren. Besonders in Branchen mit hohem Leistungsdruck, wie der Tech- oder Finanzbranche, ist das Risiko besonders hoch. „Viele Unternehmen bemerken oft zu spät, dass ihre Mitarbeitenden bereits innerlich gekündigt haben“, sagt Wahla. „Wenn es dann zur echten Kündigung kommt, ist es meist zu spät für Gegenmaßnahmen.“

Letztlich geht es bei „Revenge Quitting“ um mehr als nur eine Kündigung. Es ist ein Zeichen einer sich wandelnden Arbeitswelt, in der Mitarbeitende nicht mehr bereit sind, Missstände still hinzunehmen. Die Zeiten, in denen Loyalität gegenüber dem Arbeitgeber als selbstverständlich galt, sind vorbei. Wer heute nicht gehört wird, geht – und das nicht immer auf die sanfte Tour.

Was also tun? Unternehmen müssen sich anpassen. Wertschätzung, klare Karrierewege, ein respektvoller Umgang – all das wird immer wichtiger. Ein Arbeitsplatz, an dem Mitarbeitende sich ernst genommen fühlen, sorgt für weniger Frust und weniger abrupte Kündigungen. Und vielleicht hilft es, ab und zu einfach mal ein ehrliches „Danke“ auszusprechen. Denn manchmal sind es die kleinen Dinge, die den größten Unterschied machen.

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