Arbeiten, um zu leben, oder leben, um zu arbeiten? Viele Menschen haben auf diese Frage eine klare Antwort. Doch egal, wo sie sich positionieren, eines bleibt unverzichtbar: das Gefühl, dass ihre Arbeit zählt – und sie selbst. Doch genau hier klafft eine bedenkliche Lücke, die immer mehr Unternehmen teuer zu stehen kommt: mangelnde Wertschätzung.
„Ich gebe nicht mehr, als ich muss“
Eine aktuelle Umfrage unter Beschäftigten zeigt ein alarmierendes Bild: Eine Mehrheit gibt an, bei der Arbeit nicht „alles zu geben“. Statt Leidenschaft und Engagement herrscht Dienst nach Vorschrift. Auf den ersten Blick mögen strukturelle Faktoren wie hohe Arbeitsbelastung, unzureichende Bezahlung oder fehlende Ressourcen als Ursache erscheinen. Doch wer genauer hinschaut, stößt auf ein tiefer liegendes Problem: die schleichende Erosion von Anerkennung und Respekt am Arbeitsplatz.
„Das Gehalt ist doch genug Wertschätzung“, sagen manche Führungskräfte achselzuckend. Diese Haltung, gepaart mit chronischer Unaufmerksamkeit und einer erschreckenden Ignoranz für zwischenmenschliche Dynamiken, zeigt Wirkung: Mitarbeitende fühlen sich übersehen, ihre Leistungen als selbstverständlich betrachtet. Dabei ist Wertschätzung keine Kür, sondern eine unverzichtbare Basis für jede produktive Arbeitsbeziehung.
Das stille Gift der Gleichgültigkeit
Fehlende Wertschätzung ist ein leises, aber toxisches Gift. Sie schleicht sich in den Arbeitsalltag ein, oft unbemerkt von jenen, die sie verursachen. Ein abgesagter Jour fixe hier, ein abwesender Blick während des Mitarbeitergesprächs dort – die Botschaft ist klar: „Du bist nicht wichtig.“ Dieses Gefühl hinterlässt Spuren: Die intrinsische Motivation schwindet, kreatives Potenzial verkümmert, und die emotionale Bindung zum Unternehmen löst sich auf. Der „innere Kündigungsprozess“ beginnt, lange bevor das Kündigungsschreiben auf dem Schreibtisch landet.
Statistiken bestätigen diese Entwicklung. Laut einer Gallup-Studie von 2023 fühlen sich 67 Prozent der deutschen Beschäftigten nur geringfügig emotional an ihr Unternehmen gebunden. Besonders erschreckend: Jene, die sich am wenigsten wertgeschätzt fühlen, weisen nicht nur eine erhöhte Fluktuation auf, sondern sind auch häufiger krank. Wertschätzung ist damit nicht nur ein moralisches, sondern auch ein wirtschaftliches Thema.
Wertschätzung: Kein Hexenwerk, aber unerlässlich
Doch wie kann Wertschätzung gelingen? Die Antwort ist überraschend banal: durch kleine, konsequente Gesten. Führungskräfte, die sich bewusst Zeit nehmen, um ihre Mitarbeitenden zu sehen, zuzuhören und ernst zu nehmen, schaffen nicht nur ein angenehmeres Arbeitsklima, sondern auch die Basis für Leistung und Loyalität. Ein „Danke“ für die Arbeit, ehrliches Interesse am Wohlbefinden oder die Einhaltung von Absprachen – all das kostet weder Geld noch nennenswert viel Zeit, hat aber einen immensen Effekt.
Dabei geht es nicht um große Gesten, sondern um alltägliche Verhaltensweisen. Wie oft fragen Führungskräfte wirklich, wie es ihren Mitarbeitenden geht, und hören dabei aktiv zu? Wann haben sie zuletzt die Meinung eines Mitarbeitenden aktiv in Entscheidungen einbezogen oder dessen Leistung sichtbar gemacht? Wertschätzung ist keine Raketenwissenschaft, sondern gelebte Haltung – und diese ist entscheidend.
Das Positive stärken: Ein Plädoyer für „good Practices“
Wir brauchen eine neue Führungskultur, die auf Respekt und Wertschätzung basiert. Führungskräfte, die nicht in der Lage oder bereit sind, diesen Respekt zu zeigen, sollten sich fragen, ob sie wirklich die richtigen Personen für diese Rolle sind. Es ist an der Zeit, „good Practices“ zu schaffen, von denen Unternehmen und Mitarbeitende gleichermaßen profitieren.
Eine Frage sollte uns dabei leiten: Was war die größte Wertschätzung, die wir je von einer Führungskraft erfahren haben? Die Antworten darauf könnten wegweisend sein – für eine Arbeitswelt, in der Menschen wieder „alles geben“, weil sie wissen, dass es zählt.
Denn Wertschätzung ist keine Option. Sie ist die Basis.