Es ist eine klassische Frage im Vorstellungsgespräch, die oft mit einem Mix aus Nervosität und Kalkül beantwortet wird: „Was ist Ihre größte Schwäche?“ Eine Antwort, die dabei immer wieder auftaucht, ist „Ungeduld“. Auf den ersten Blick erscheint dies als kluger Schachzug: Eine Schwäche, die gleichzeitig als Stärke interpretiert werden kann. Doch was signalisiert diese Antwort dem Personaler wirklich? Und warum kann sie mehr Schaden anrichten, als auf den ersten Blick ersichtlich ist?
Phishing for Compliments: Die subtile Strategie hinter der Antwort
Wenn ein Bewerber „Ungeduld“ als Schwäche nennt, klingt das zunächst wie eine harmlose Selbstkritik. In Wirklichkeit handelt es sich jedoch oft um einen Versuch, sich in einem positiven Licht zu präsentieren. Denn Ungeduld wird in vielen Kontexten mit Eigenschaften wie Tatkraft, Zielstrebigkeit und einem hohen Arbeitstempo assoziiert – alles Attribute, die in vielen Berufen als erstrebenswert gelten.
„Die Antwort ist so gestaltet, dass sie eine versteckte Botschaft enthält: ‚Ich bin so motiviert und effizient, dass ich manchmal zu ungeduldig werde‘“, erklärt Dr. Eva Wlodarek, Psychologin und Karriereberaterin aus Hamburg, in einem Interview mit dem Magazin „Wirtschaft + Karriere“ (2023). Doch diese Strategie birgt Risiken. Denn geschulte Personaler erkennen schnell, wenn ein Bewerber versucht, sich durch vermeintliche Schwächen indirekt zu loben.
Die Botschaft hinter der Antwort
Wer „Ungeduld“ als Schwäche nennt, vermittelt vor allem eines: mangelnde Selbstreflexion. „Die Wahl einer Schwäche, die gleichzeitig als Stärke interpretiert werden kann, zeigt, dass der Bewerber entweder nicht bereit oder nicht fähig ist, seine wirklichen Schwächen zu benennen“, erklärt Prof. Christian Tröster von der Kühne Logistics University in Hamburg. Dies kann bei Personalern den Eindruck erwecken, dass der Kandidat unangenehme Wahrheiten vermeidet – eine Eigenschaft, die in vielen beruflichen Situationen problematisch sein kann.
Darüber hinaus kann die Antwort „Ungeduld“ auch auf eine gewisse Oberflächlichkeit hinweisen. Sie signalisiert, dass sich der Bewerber wenig Mühe gegeben hat, über sich selbst und die Anforderungen der Position nachzudenken. „Wer sich auf diese Standardantwort verlässt, vergibt die Chance, sich durch Authentizität und Tiefe hervorzuheben“, betont Dr. Wlodarek. Laut einer Umfrage des Karriereportals Glassdoor (2022) empfinden 42 Prozent der Personaler Antworten wie „Ungeduld“ als ausweichend und wenig aufschlussreich.
Die Kunst der glaubwürdigen Selbstkritik
Eine ehrliche und reflektierte Antwort auf die Schwächen-Frage erfordert Mut und Vorbereitung. Sie sollte sowohl authentisch als auch konstruktiv sein. Statt „Ungeduld“ könnte ein Bewerber beispielsweise sagen: „Ich habe früher oft Schwierigkeiten gehabt, Aufgaben zu delegieren, weil ich sicherstellen wollte, dass alles perfekt erledigt wird. Aber ich arbeite daran, anderen mehr Verantwortung zu überlassen, und habe festgestellt, dass dies nicht nur meine eigene Arbeit erleichtert, sondern auch das Team stärkt.“
Solche Antworten zeigen nicht nur Selbstreflexion, sondern auch die Bereitschaft, an sich zu arbeiten – eine Eigenschaft, die bei Personalern hoch im Kurs steht. Eine Studie des LinkedIn Talent Blogs (2021) ergab, dass 65 Prozent der Recruiter Bewerber bevorzugen, die konkrete Schritte zur Verbesserung ihrer Schwächen benennen können.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Relevanz der Schwäche für die angestrebte Position. „Die Schwäche sollte ehrlich sein, aber nicht essenziell für die Kernkompetenzen des Jobs“, erklärt Prof. Tröster. Wenn etwa ein angehender Projektmanager angibt, Schwierigkeiten im Zeitmanagement zu haben, könnte dies kontraproduktiv wirken. Eine durchdachte Antwort könnte dagegen lauten: „Ich habe früher dazu tendiert, zu viele Projekte gleichzeitig anzunehmen. Aber ich habe Methoden wie das Priorisieren und das Führen von To-do-Listen implementiert, um dies zu verbessern.“
Was Personaler wirklich hören wollen
Letztlich zielt die Frage nach den Schwächen darauf ab, die Selbstkenntnis und Lernbereitschaft eines Kandidaten zu testen. Eine oberflächliche oder kalkulierte Antwort wie „Ungeduld“ kann daher schnell als rotes Tuch wirken. „Personaler wollen nicht hören, dass ein Bewerber perfekt ist. Sie wollen hören, dass er oder sie bereit ist, an den eigenen Schwächen zu arbeiten und sich weiterzuentwickeln“, fasst Dr. Wlodarek in ihrer Kolumne im Fachmagazin „Karrierewege“ (2023) zusammen.
Darüber hinaus zeigt eine Studie des Karriereportals StepStone (2022), dass 71 Prozent der Bewerber, die glaubwürdig über ihre Schwächen sprechen, im Bewerbungsprozess erfolgreicher sind. Offenheit und Reflexion werden als Zeichen von Reife und Entwicklungspotenzial interpretiert.
Also: Mehr Mut zur Ehrlichkeit!
Die Versuchung, eine Schwäche zu nennen, die in Wirklichkeit keine ist, ist groß. Doch dieser Ansatz kann schnell nach hinten losgehen. Stattdessen lohnt es sich, offen und ehrlich auf die Frage einzugehen – ohne dabei den Fokus auf die eigenen Lösungsstrategien zu verlieren. Denn am Ende zählt nicht, dass man keine Schwächen hat, sondern dass man bereit ist, an ihnen zu arbeiten. Und das ist eine Botschaft, die bei jedem Personaler gut ankommt.