Immer wieder werden Generationenkonflikte herbeigeredet und Generationen vorschnell mit Attributen versehen. Dabei gibt es für das Konzept der Generationenunterschiede keine überzeugenden Theorien und auch kaum wissenschaftliche Evidenz. Vielmehr werden einfach Stereotype bedient – und Stereotype über soziale Gruppen sind eher selten schlau, um es mal vorsichtig auszudrücken.
Meist werden in diesen Diskussionen auch verschiedene Generationenlabels verwendet (X, Y, Z, Babyboomers, Millennials, Generation Krise, etc.), von denen überdies angenommen wird, daß sie mit typischen Eigenschaften und Verhaltensweisen aller Gruppenmitglieder einhergehen (pflichtbewusst, egoistisch, unsicher, …).
Schließlich läuft es auf die Unterscheidung von alt und erfahren und jung und unerfahren hinaus. Dabei ist etwa die Affinität für digitale Medien, die den Jüngeren eher zugesprochen wird, wohl vielmehr eine Frage der Gewohnheit als eine Frage des Alters – mal abgesehen davon, daß solche Grenzen zunehmend verschwimmen.
Was manche Ältere tatsächlich bisweilen verunsichert, sind Geschwindigkeit und Radikalität, mit denen sich Arbeitsabläufe wandeln. Manch einer jenseits der 40 schaltet schon bei Begriffen wie Big Data Analytics, Cloud oder AI auf Durchzug. Und bei dem ein oder anderen gibt es vielleicht auch mal eine schlaflose Nacht, weil die Frage sich nicht verdrängen läßt, inwiefern es gelingt, beim permanenten Wandel mithalten zu können, denn: Da kommt einer frisch von der Uni, zaubert ratzfatz alles auf sein Smartphone und scheint überhaupt vieles besser zu beherrschen, zumindest schneller. Ist dann nicht der neue Kollege, dessen Einarbeitung gerade stattfindet, weniger Teammitglied als der Konkurrent von morgen?
Dieser Gedanke ist toxisch für jede echte Teamarbeit, weil er nicht nur das Konzept von Herrschaftswissen fördert, sondern auch die Entwicklung von Teams insgesamt bremst. Schließlich ist der permanente Wandel nicht auf die Entwicklungen der IT begrenzt, sondern berührt viel weitreichendere Aspekte des Arbeitslebens: Europäer müssen mit Chinesen klarkommen, Festangestellte mit Freelancern, Aufträge werden ausgelagert, was früher die Nachbarabteilung war, ist jetzt ein Subunternehmen – da prallen schon mal Lebenswelten und Gewohnheiten aufeinander.
Die Lösung scheint mir erstens eine gedankliche Entgrenzung der Generationen, zweitens lebenslanges Lernen und drittens eine bewußt gewählte Anpassungsfähigkeit zu sein; alles letztlich unverzichtbar für einen erfolgreichen Weg in der Berufswelt von heute und morgen. Wie gut man Neues lernt, hängt nämlich nicht von Lebensjahren ab, sondern von der generellen Neugierde sowie der Einstellung zum Lernen (und natürlich auch von den Lernmethoden).
Die Bereitschaft zum Lernen ist essentiell, lernen sollten wir alle immer und jederzeit, alt genauso wie jung. Das ist mitnichten eine neue Erkenntnis, sondern eine sehr alte: Erfahrene Ältere tragen Verantwortung und leiten unbedarftere Jüngere an; die bringen wiederum frische Ideen mit und brechen mit eingeschliffenen Traditionen. (Ab einem gewissen Alter beziehungsweise bis zu einem gewissen Alter ist es dabei nebenbei bemerkt sehr relativ, was alt eigentlich sein soll: In einem Team von 20-Jährigen ist der Chef mit seinen 30 Jahren alt.)
Wie viele der stereotypen (also verallgemeinernden) Vorstellungen über soziale Gruppen – wie Vorurteile über Männer/Frauen, Ost- und Westdeutsche etc. – erfreuen sich Generationenunterschiede trotzdem einer großen Beliebtheit. Das liegt auch hier vor allem daran, daß sie stark vereinfachte Erklärungen für komplexe Phänomene liefern. Eine Mitarbeiterin beklagt sich über zu hohen Zeitdruck bei der Arbeit? Ein Mitarbeiter bittet seine Vorgesetze um flexiblere Arbeitszeiten? Typisch Generation XYZ, die ist einfach nicht mehr belastbar!
Generationenerzählungen laden demnach dazu ein, nicht genauer über mögliche individuelle oder arbeitsplatzbezogene Gründe für bestimmte Einstellungen oder Verhaltensweisen nachdenken zu müssen – ganz angesehen von deren Berücksichtigung bzw. den resultierenden Veränderungsprozessen.
Also, daran bitte denken, bevor es das nächste Mal heißt: „Hey, Boomer!“ oder „Hey, Gen Z!“